Die Effekte von Kompressionsbekleidung bei Training und Sport
Im Ausdauersport gehört Kompression schon fast zur Grundausrüstung ambitionierter Sportler. Bei Marathons läuft ein großer Teil der Teilnehmer mit den markanten Strümpfen. Auch Fußballer, Handballer und Sportler
vieler anderer Sportarten nutzen Kompressionsbekleidung. Aber was ist tatsächlich dran? Wie wirkt Kompressionsbekleidung? Kann Kompressionsbekleidung auch das Training im Fitnessstudio unterstützen? Lassen sich die verbesserten Trainingseffekte wissenschaftlich nachweisen?
F&G und hat bei einem der renommiertesten Experten Deutschlands nachgefragt: Prof. Dr. Billy Sperlich, Leiter des Arbeitsbereiches Integrative und Experimentelle Trainingswissenschaft an der Universität Würzburg.
F&G: Wie wirkt Kompressionsbekleidung auf den menschlichen Körper?
Prof. Dr. Billy Sperlich: Man muss zwischen der medizinischen Kompression und den erhofften Wirkungen im Leistungssport unterscheiden.
Bei einer veneninsuffizienten Person, also jemandem, bei dem die Venen wirklich unphysiologisch weit sind, da macht Kompressionsbekleidung durchaus Sinn, um eben die Venenklappen-Funktion so zu unterstützten, dass der venöse Rückstrom erleichtert wird.
Das sind aber pathologische, also krankhafte Zustände und meistens sind diese Personen inaktiv oder postoperativ oder bettlägerig. Der Muskel bewegt sich also zu wenig oder eben gar nicht. Sobald die Bewegung ins Spiel kommt, gibt es einen Trick: Die sogenannte Muskelpumpe, d.h., der Muskel kontrahiert und dann ist der vom Muskel ausgeübte Druck deutlich höher als der von der Kompressionsbekleidung. Die Kompression kann überhaupt nur wirken, wenn Muskeln weniger oder gar nicht angespannt sind, also beispielsweise in der Flugphase beim Joggen. Daher kann Kompression bei Athleten unter bestimmten Umständen wirken, am besten vermutlich in Phasen ohne Muskelanspannung, also in der Regeneration.
F&G: Warum ist Kompressionsbekleidung gerade bei Ausdauersportler in den letzten Jahren so beliebt?
Prof. Dr. Billy Sperlich: Die Laufszene hofft auf einen physiologischen Effekt: Wenn der venöse Rückstrom erleichtert ist, würde das Herz sich mehr füllen, mit jedem Herzschlag würde es damit mehr Blut auswerfen und damit auch mehr Sauerstoff transportieren. So lautet die Grundüberlegung.
Aber, diese Annahmen wurden in unseren Untersuchungen nicht bestätigt. Es ist nichts passiert, die Sauerstoffaufnahme war in unseren Untersuchungen nicht beeinflusst. Es war kein erhöhter venöser Rückstrom im Herzen zu verzeichnen.
F&G: Wo genau liegt denn der Unterschied zu „klassischen“ Thrombose-Strümpfen?
Prof. Dr. Billy Sperlich: Bei Personen im Flugzeug, Krankenhaus, postoperativ etc. ist keine Bewegung im Spiel, also auch kein Muskeltonus. Das ist physiologisch ein ganz anderer Prozess.
F&G: Wie kam es dazu, dass Sie sich wissenschaftlich mit dem Thema Kompression beim Sport auseinandersetzen?
Prof. Dr. Billy Sperlich: Viele Firmen wurden nach Olympia 2008 auf uns aufmerksam und wollten, dass wir ihre Produkte testen.
Unsere Arbeitsgruppe hat sich dann zunächst erstmal alles angelesen, was im Sport mit Kompression regenerations- und leistungsfördernd sein kann. Das sind Parameter wie Sauerstoffaufnahme, Laktatwerte, Muskelentzündungs-Marker etc. Zu jeder Studie werden Sie aber auch wieder Gegenstudien finden.
Dann haben wir geschaut: Was verspricht man sich denn überhaupt für leistungssteigernde Effekte? Sind es Sprintzeiten, Sprunghöhen, Kraftleistungen oder im Radsport maximale Leistungswerte wie Zeitfahren?
F&G: Konnten Sie in Ihren Studien einen Benefit durch das Tragen von Kompressionsbekleidung nachweisen?
Prof. Dr. Billy Sperlich: Nach meinem aktuellen Kenntnisstand kann ich schlussfolgern, dass wenn ein Ausdauerathlet sich mit Kompressionskleidung wohl fühlt und entscheidet solche Kleidung zu tragen, würde ich ihm, sofern der Druck nicht sehr hoch ist, nicht davon abraten, würde aber auch nicht sagen, es sei ein Muss.
Und: Es gibt noch einen etwaigen Vorteil von Kompressionskleidung, den wir derzeit nicht ganz erfassen können. Nehmen wir Achillessehnen- oder Gelenkbeschwerden. Der Arzt verschreibt eventuell Bandagen, was ja auch eine Art Kompression ist. Bei Umfragen kommt raus, dass 50 % diese Kompression als angenehm und unterstützend empfinden, die andere Hälfte nicht. Die leistungsfördernde Wirkung von kompressionsbedingter Schmerzreduktion ist aber auch nicht messbar.
In Punkto Regeneration ist die Kompression aber wieder vielsprechender, weil wir hier einen ruhenden Muskel vorfinden. Geschwollene Muskeln mit Mikroverletzungen, befinden sich nach dem Training im Ruhemodus. Muskelmarker für Muskelabbauprozesse zeigen einen beschleunigten Abbauprozess bei Anwendung von Kompressionsbekleidung. Das passt auch zum subjektiven Belastungsempfinden vieler Befragten, die gesagt haben: Ja, der Muskel fühlt sich besser an.
Auch die erhöhte Muskeltemperatur beim Tragen von Kompressionsbekleidung scheint die Regenration zu begünstigen. Wenn der Muskel wärmer ist, laufen biomechanische Prozesse besser ab, nicht unbedingt wegen der Kompression, sondern wegen der Wärme. Wir wissen noch nicht genau, welcher Effekt für die schnellere Regeneration primär verantwortlich ist, vielleicht sind es sogar beide.
F&G: Und wie lautet Ihr persönliches Fazit?
Prof. Dr. Billy Sperlich: Mein Fazit lautet zunächst: Nach dem derzeitigen Stand würde ich die Kompression eher unter regenerativen Aspekten sehen als unter leistungsfördernden. Man könnte aber daraus auch schließen, dass eine schnellere Regeneration wiederum zu einer Leistungssteigerung führt. Das wurde aber bisher noch nicht so richtig erfasst.
Den Effekt des erleichterten Rücktransports des Blutes bei gesunden Venen durch Kompression habe ich in verschiedenen Studien bis heute nicht nachweisen können.
F&G: Lässt sich schon eine Empfehlungen für die zielgerichtete Anwendung von Kompressionsbekleidung formulieren?
Prof. Dr. Billy Sperlich: Man kann das Thema nicht einfach polarisieren. Es kommt immer darauf an, was man erreichen will.
Bei Skifahrern z.B., die ordentlich Zug auf dem Muskel hatten, da war die Abfahrtshocke mit Kompression über drei Minuten hinweg in etwa zehn Grad tiefer als ohne Kompression. Hier ist die Kompression auch eine leichte mechanische Unterstützung, je nach Material. Bei Skiläufern ist Kompression durchaus zu empfehlen, aber evtl. nicht für einen 5.000 m Läufer. Bei Marathonläufern, deren Muskeln nach zig Kilometern müde werden, evtl. schon eher.
Zur Regeneration nach dem Lauf ist Kompression aber durchaus zu empfehlen; die Wahrscheinlichkeit der schnelleren Regeneration ist gegeben.
Wir haben Kompressionsbekleidung im Sprint getestet. Frauen sprinteten 30 x 30 Meter immerhin fast ein Zehntel schneller mit Kompression. Aber der Effekt trat erst nach dem 25. Sprint ein, wenn der Muskel schon ordentlich ermüdet war. Vielleicht sind das dann auch eher biomechanische Prozesse, längere Schrittlänge oder neurologisches Feedback durch die Kompression hilft wahrscheinlich zusätzlich.
F&G: Demnach ist Kompression eher ein Thema für Leistungssportler?
Prof. Dr. Billy Sperlich: Nein. Es kommt nicht unbedingt auf das Leistungsniveau an. Es gibt sehr viele Einflussfaktoren: Wie ist die Venen-Situation, aufrechte oder liegende Position?
Bei Belastungen mit Muskelschwingungen, wie z.B. Ski oder, Mountainbike, wäre Kompression zu empfehlen. Unter präventiven Aspekten könnte ich mir vorstellen – das haben wir allerdings noch nie untersucht – dass auch die mechanische Unterstützung schon helfen kann. Nichts anderes machen ja Ärzte indem sie Bandagen verschreiben.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass bei übergewichtigen Personen ein Body-Toning-Effekt eintritt, dadurch dass sie sich besser fühlen und gerne Kompressionsbekleidung tragen.
Einen Nachteil sehe ich aber in der Wärmeregulation: Wenn große Teile des Körpers unter Druck gesetzt sind, wird weniger Wärme ausgetauscht und die Schweißproduktion erhöht. Die biomechanischen Prozesse laufen dann auf Hochtouren und der Körper ist stark erwärmt. Manche Hersteller bieten daher netzförmige Kleidung an. In der Regeneration ist die Erwärmung aber wieder positiv.
F&G: Wie sieht es beim Krafttraining aus?
Prof. Dr. Billy Sperlich: Für das Krafttraining mit Kompressionsbekleidung ist ein positiver Effekt zu nennen, der aber noch nicht erwiesen ist, zielgerichtete Studien sind aber geplant: Ich könnte mir vorstellen, dass man durch hohe Kompression beim Bankdrücken oder Beinstrecken eine Mini-Hypoxie auslöst. Man müsste die Kompressionskleidung aber chronisch tragen.
Bei dem reinen Okklusionstraining ist es so, dass man die Gliedmaßen so stark abbindet, dass der Blutfluss reduziert wird. Da muss die Kompression aber schon ordentlich eng sein. Bei gleichzeitigem Training ist der Muskel dann hypoxisch, also mit Sauerstoff unterversorgt – was ja beim Krafttraining ohnehin der Fall ist – und kann dann den Hypertrophie-Effekt erreichen und den Trainingseffekt verstärken.
Kompressionsbekleidung wäre da eventuell ein Kompromiss. Man könnte sie auch länger tragen. Wir werden das in Zukunft erforschen, mit Sportstudenten als Probanden: ein Bein mit und ein Bein ohne Okklusion oder auch Kompression, der eigene Körper als Kontrollvergleich.
Die Trainingseffekte von Okklusiostraining sind für den Kraftbereich erwiesen, die von Kompressionskleidung hingegen noch nicht.
F&G: Wie lautet Ihr Resümee zum jetzigen Stand der Wissenschaft?
Prof. Dr. Billy Sperlich: Es wird viel geforscht, gibt aber noch keinen Konsens.
Ein Problem für exakte Untersuchungen ist auch, dass es nur Normgrößen gibt. Das ist aber nicht sehr hilfreich. Vor allem ist nicht nachgewiesen, welcher Druck tatsächlich erreicht wird.
F&G: Herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen und das interessante Gespräch.
Quelle: F&G
Veröffentlicht am: 27. März 2015